Gestern war Krisen-PR noch kälter als draußen

Der PR-Super-GAU beim ADAC zieht weiter ungeahnte Kreise und erreicht die nächste Stufe: Der Präsident kommt seinem Rausschmiss zuvor, die großen Automobilhersteller geben sämtliche „Gelben Engel“ zurück, die Preisvergabe wird gänzlich eingestellt und alle Statements und Entschuldigung klingen zunehmend hilflos – vermutlich ob der Gewissheit, dass es wohl noch schlimmer kommt!

In den kommenden Tagen und Wochen drohen erneut schlechte Nachrichten für den von der Autobranche lange Zeit eigennützig geduldeten und zugleich gefürchteten Club. Denn bis dato liegen lediglich die Untersuchungsergebnisse für die Wahl des Publikumspreises im Jahr 2014 vor. Die aufgedeckte Manipulation betrifft dabei nicht nur die Stimmenanzahl, sondern auch die Platzierungen. Nun wird interessant zu erfahren sein, was in den Vorjahren bis zurück zu 2005 noch so getrieben wurde.

Nichts ist unmöglich!

Die Salami-Taktik nimmt also ihre Fortsetzung. Begleitet von Dementi, Presse-Schelten, hastigen Nachbesserungen beim Regelwerk, internen Umstrukturierungen, Heile-Welt-Getue, reumütigen Bestätigungen der Vorwürfe, barscher Kritik und ungefilterter Häme. Jetzt helfen auch keine Nebenschauplätze wie Abhörskandale, Steuertricks oder Dopingbefunde mehr. Aus dem anfänglichen Lackschaden ist längst ein Marken-Crash geworden! Der Automobilclub benötigt dringend „Kommunikationspannenhilfe“.

Unter anderem hat der ADAC damit begonnen, rechtliche Schritte gegen den ehemaligen Chef der Verbandskommunikation vorzubereiten. Weitere Negativ-Schlagzeilen dürften vorprogrammiert sein. Insgesamt sicher keine leichte Aufgabe für die Krisenberater, die seit nunmehr knapp zwei Wochen die von Glatteis befreite Fahrspur suchen. Vielmehr eine undankbare Rolle, wurden doch in relativ kurzen Abständen der Krisenbewältigung unzählige Fehler gemacht. Der Agentur ist dabei allerdings kein Vorwurf zu unterbreiten… zu spät wurden die Reifen im Zeitraum „O bis Oh Oh“ gewechselt. Hätte man bloß den Volksmund hierzu befragt.

Quo vadis Krisen-PR?

Ein kleiner Abstecher in die Theorie scheint vonnöten und sei an dieser Stelle erlaubt: Krisenkommunikation oder Krisen-PR bezeichnet die Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen, Institutionen und anderen Organisationen im Kontext von zu bewältigenden kritischen Situationen. Dies schließt die strategische Kommunikation zur proaktiven Prävention von Krisen, die journalistische Berichterstattung und deren Evaluation mit ein.

War die Krisenkommunikation des ADAC demnach gar nicht so miserabel, wie allgemein behauptet? Immerhin handelten die Verantwortlichen zu Beginn recht schnell: sofortige Trennung vom Kommunikationschef, Pressemitteilung, Pressekonferenz, persönliche Gespräche mit Journalisten, zeitnahe interne Ermittlungen sowie entsprechende Entschuldigungen bei Medien und Mitgliedern.

Doch! Spätestens nach dem Spiegel Online-Interview mit dem ADAC-Geschäftsführer war die Krisen-PR gescheitert, bevor sie richtig begonnen hatte – der ultimative PR-GAU nahm seinen Lauf. Die Boulevard-Medien deckten nahezu täglich neue Skandale auf und ein im Nachhinein lächerlich anmutender Beicht-Versuch über die Mitgliederzeitschrift verpuffte daraufhin förmlich.

Hätte, hätte, äh… Kofferraum?!

Schauen wir durch den Rückspiegel zum Heckspoiler und widmen wir uns der Frage, was der ADAC hätte besser machen können. Folgende fünf Punkte sind aus der exemplarischen Sicht von Christian Maertin, ehemaliger Geschäftsführender Gesellschafter der PR-Beratung Siccma Media, entscheidend:

  • Krisen präventiv vorbereiten
    Für die meisten großen Unternehmen ist es heute eine Selbstverständlichkeit, umfangreiche und detailliert ausgearbeitete Krisenkommunikationspläne in der Schublade zu haben. Gerade Organisationen, aber auch hochrangige Manager, die über viele Jahre unangefochten, erfolgsverwöhnt und wenig kritisiert im Mittelpunkt der öffentlichen Berichterstattung standen, bereiten sich jedoch für den Ernstfall häufig kaum vor. Der hiesige Fall ist dafür das perfekte Beispiel.
  • Kritische Berichterstattung nicht unterschätzen
    Die Geschäftsführung des ADAC hat sich wohl nur deshalb so lange von ihrem Kommunikationschef vertrösten lassen, weil sie den Kommunikations-Tsunami am Horizont nicht hat kommen sehen. Dies ist umso schwerer zu verstehen, da die Süddeutsche Zeitung die Vorwürfe natürlich nicht zufällig zwei Tage vor der großen Gala zur Preisverleihung des „Gelben Engel“ veröffentlicht hat. Gute Krisenkommunikation hätte bedeutet, die Vorwürfe noch am gleichen Tag intern zu prüfen und umgehend ein erfahrenes Krisenteam zu engagieren, das die Situation diskutiert und innerhalb kürzester Zeit ein erstes Paket akuter Maßnahmen beschließt.
  • Öffentliche Äußerungen genau abwägen
    Es wird vermutlich immer ein Rätsel bleiben, wie sich der ADAC-Präsident und seine Geschäftsführung zu einer derartigen Medienschelte hinreißen lassen konnte, ohne zu wissen, was der Verantwortliche zu den Vorwürfen überhaupt sagt. Richtig wäre gewesen, nach Klärung der Vorwürfe jede öffentliche Äußerung sorgfältig abzuwägen und von Kommunikationsprofis prüfen oder sogar entwickeln zu lassen. Wäre dies geschehen, hätte der Club wohl kaum versprochen, den Auswahlprozess für den „Gelben Engel“ zukünftig von einem Notar überwachen zu lassen – um wenige Tage später den Preis ganz einzustellen. Auch das oben erwähnte Interview hätte in dieser Form nie stattgefunden.
  • Berechtigte Vorwürfe umfassend zugeben
    Das Prinzip „Angriff ist die beste Verteidigung“ mag im Sport gelten, nicht aber in Krisensituationen. Organisationen, die erkennen müssen, dass sie mit berechtigten Vorwürfen konfrontiert werden, sollten alle Verfehlungen uneingeschränkt zugeben, mit Hochdruck alle Fakten ermitteln und größtmögliche Transparenz schaffen. Aber auch hier gilt: Keine Schnellschüsse, nicht von den Medien treiben lassen und auf die Hauptaufgaben konzentrieren. Mitunter neigen Unternehmen dazu, Journalisten voreilig alle Türen und Tore zu öffnen, in der Hoffnung, dass dann der Druck nachlässt und die Berichterstattung wieder etwas freundlicher ausfällt. Diese Strategie führt in vielen Fällen dazu, dass plötzlich Randthemen diskutiert werden, die zuvor eigentlich niemand auf dem Radar hatte.
  • Keine Salami-Taktik anwenden
    Den Verantwortlichen beim ADAC steht eine arbeitsreiche Zeit bevor. Denn hunderte von Journalisten werden den Club in den kommenden Wochen bis in den letzten Winkel seines Kellers durchleuchten. Organisationen, die eine solche Phase schnellst- und bestmöglich durchstehen wollen, sollten alle brisanten Themen intern schnellstmöglich aufarbeiten und dann aktiv in die Öffentlichkeit gehen. Dazu gehört viel Mut, der letztendlich aber belohnt werden wird.

Um abschließend im Bild zu bleiben: Möglicherweise bleibt allein die PR-Überholspur, aber ist (wie mein Fahrlehrer beim Blick auf die rote Ampel stets zu sagen pflegte) „Gas geben jetzt noch sinnvoll“!?


Autor: Stefan Schütz /
Foto: uygar sanli / pixelio.de

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