Hetze und Hass in Social Networks
meets Wissen und Witz

Anscheinend hat es sich noch nicht vollends herumgesprochen: Die deutsche Übersetzung von „Social Networks“ lautet in keiner Weise „Soziale Netzwerke“. Oder was ist an all der Hetze und dem Hass sozial? Für mich gleicht dieses Phänomen eher einer Treibjagd. So manch wirre Äußerungen einer Halluzination. Kann das gefährlich sein und wenn ja, für wen? Vielleicht ist die eine oder andere Auseinandersetzung als Außenstehender auch ganz lustig – wenn es nur nicht so traurig wäre!

Politisierung im Social Web

Schon verrückt, was da draußen in der virtuellen und vor allem realen Welt derzeit alles passiert. Anfeindungen, Diskussionen, Krisen, Hahnenkämpfe und Kriege. Auf den ersten Blick hat das nichts mit dem digitalen Wandel zu tun, sollte vermutlich stets voneinander getrennt werden.

Andererseits wird beispielsweise die Rolle der Social Media für die Allgemeinheit und das öffentliche Recht in Bezug auf die Informationsflut als äußerst einflussreich erachtet. Können doch die Meinungen von Menschen nachhaltig beeinflusst respektive massenweise manipuliert werden. Spätestens dann, wenn sich polarisierende Standpunkte oder unreflektierte Hetze gegen Andersdenkende schlagartig ausbreiten und schlimmstenfalls als allgemeingültige Weisheiten der repräsentativen Bürgerwehr wahrgenommen werden.

Ein wunderbar erschreckendes Beispiel für unser Handeln, haben auf der letzten re:publika im Jahr 2015 – die gleichermaßen als Journalisten, PR-Berater und Blogger tätigen – Thomas Wiegold und Sascha Stoltenow geliefert. Sie sind der grundlegenden und unangenehmen Frage nachgegangen, was wir durch terroristische Kommunikationsstrategien á la IS über uns selbst erfahren.

Gleich zu Beginn des hiesigen Blogposts verlange ich also einiges ab – zeitlich und ausdrücklich inhaltlich, „The IS in us“:

Mit dem Islamischen Staat (IS) hat ein „terroristisches Start-up“ die Bühne betreten. Als böser Zwilling innovativer Medienformate wie beispielsweise Buzzfeed bedient sich der IS virtuos der Mechanismen des Social Webs und setzt statt auf herkömmliche Medienarbeit voll auf „Content-Marketing“. Doch dürfen wir das überhaupt so nennen? Die beiden zuvor genannten Referenten machen deutlich und behaupten sogar: wir müssen! Denn nur so können die, der Propaganda zu Grunde liegenden, wahren Absichten und Wirkungen erkennbar werden.

Bisweilen gruselig, wie ähnlich der IS der Medienwelt ist, die wir kennen und schätzen. Ein mehrsprachiges Corporate Publishing Magazin, eine Webserie, die in 1-2-minütigen Folgen einen Einblick in den Alltag vermitteln soll und zahlreiche, mit Musik unterlegte Recruitingvideos. Dazu ein weitverzweigtes Netzwerk von Sympathisanten auf fast allen populären Social Networks, zahlreiche eigene Plattformen und ein eigener TV-Sender. Es gibt fast nichts aus dem Arsenal moderner Unternehmenskommunikation, auf das die Propaganda des Islamischen Staates nicht zugreift.

Bevor ich zu vermeintlich leichterer Kost übergehe, möchte ich beim Thema bleiben und hinsichtlich eines modernen Employer Branding Gedankens einen viel beachteten Blogartikel von Nicolas Scheidtweiler zitieren. Der Gründer und Inhaber einer PR-Agentur sowie ehemalige Offizier hat die aktuelle Recruiting-Kampagne „Mach, was wirklich zählt“ der Bundeswehr in punkto Öffentlichkeitsarbeit kritisch beäugt:

Ursprünglich sollte die Headline des Beitrags laut eigener Aussage des Autors „Der irre(nde) Arbeitgeber Bundeswehr“ lauten. Am Ende wurde daraus „Bundeswehr im Recruiting-Irrflug – eine ernsthafte Gefahr!“ und passt somit aus meiner Sicht sehr gut zur Einstiegsfrage im hiesigen Teaser. Sowohl emotional als auch fachlich wird hier nämlich über die unterschiedlichsten Zäsuren berichtet, was Organisationsstrategie, Personalmarketing und eben Öffentlichkeitsarbeit angeht. So bestehe die Gefahr, die falsche Bewerberklientel anzusprechen.

Die strategischen und organisatorischen Grundlagen der Bundeswehr werden im Rahmen der Kampagne aufgeweicht, so der PR-Experte weiter. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Bundeswehr zum x-beliebigen Arbeitgeber wird, der sich für Bewerber kaum von Konzernen wie Mercedes-Benz, Siemens oder der Allianz unterscheidet. Dabei gibt es völlig andere Herausforderungen für die potenziellen „Mitarbeiter“. Soldat zu sein bedeutet an die eigenen Grenzen zu gehen und diese – im wahrsten Wortsinn – zu überschreiten. Der Beruf unterscheidet sich von anderen Berufen hinsichtlich vieler Facetten: des sozialen Lebens, des Komforts, der Entscheidungswege sowie der zeitlichen und psychischen Belastung.

Polarisierung im Social Web

Wir können von manchen sogenannten Personen des öffentlichen Rechts halten was wir wollen. Das diese jedoch ein erhöhtes Potenzial für Hetze und Hass in den analogen und vor allem digitalen Medien vorweisen, lässt sich kaum leugnen. Wenn die Stars und Sternchen dann noch eine Steilvorlage bieten, ist der Unmut sehr schnell sehr groß – unabhängig davon, ob die Intention der vorausgegangen Message klug respektive gut bedacht, ehrenhaft oder schlichtweg idiotisch war.

Jan Böhmermann trägt schon gefühlte Jahrzehnte unter anderem einen persönlichen Kampf gegen die YouTube-Stars und deren Szene aus. Natürlich bleibt das nicht unbeobachtet, greift er doch beispielsweise mit Vorwürfen der Teenie-Abzocke und der Verspottung deutscher Rapper direkt die entsprechenden Zielgruppen an. Von allen anderen Seiten erntet der Satiriker und Moderator hingegen Zustimmung.

In gewohnter Manier führt er in diesem Beispiel erfolgreiche YouTuber vor, deckt verdeckte Werbung und kommerzielle Interessen auf und vergleicht die Protagonisten mit „Merchandising von echten Künstlern, nur ohne Kunst.“ Schließlich steckt auch hinter jedem verrückten Bewegtbild-Macher ein äußerst seriöses Management. Viele kommentieren seine Videos und Botschaften auf Twitter, Facebook und YouTube. Die Botschaft scheint jedenfalls größtenteils angekommen zu sein.

An einer aktuellen Pöbel-Dreiecksbeziehung, die das Netz bewegt und in Atem hält, ist Jan Böhmermann erneut beteiligt. Nachdem der Extremsportler Felix Baumgartner mit einem Facebook-Post zur Flüchtlingsdebatte für Aufregung sorgte, schaltete sich nun auch der investigative Journalist in die hitzige Diskussion ein. So forderte er in einem Facebook-Post Til Schweiger zur Anteilnahme auf: „Kann mal bitte jemand Til Schweiger von der Kette lassen? Til, haste das gelesen?“.

Der Post wurde übrigens mittlerweile gelöscht. Von Felix, Jan oder Til? Wir werden es nie erfahren. Alle die mit uns auf Kaperfahrt fahren, müssen Männer mit Bärten sein. Was letztgenannter gelesen habe sollte? Das hier:

Felix Baumgartner ohne Sauerstoffmaske bei Facebook

Für diesen äußerst beknackten und unqualifizierten Post erntete Felix Baumgartner nicht nur auf Facebook scharfe Kritik. Dessen ungeachtet gab es ferner gefährlich viel Zustimmung, was den Extremsportler dazu anhielt, seine Sauerstoffmaske abzunehmen und mit weiteren Statements und merkwürdigen Danksagungen nachzulegen.

Scheinbar unbelehrbar – schlimmer noch, dass die Sponsoren um eine bekannte Energy-Drink-Marke (die gerne als Case für erfolgreiches Content-Marketing herangezogen wird) keinerlei Reaktionen zeigten. Von Til Schweiger wird ebenfalls keine Hilfe zu erwarten sein. Der ließ stattdessen über ein Interview mit dem Stern ausrichten: „Natürlich habe ich gelesen, dass er mich jetzt auf Baumgartner hetzen will, aber da gehe ich doch eher auf ihn los“. Bleibt abzuwarten, wie die Sandkasten-Posse weiter geht.

Persönliches im Social Web

Toi, toi, toi. Bislang bin ich sowohl als Blogger als auch PR-Berater von persönlichen Anfeindungen verschont geblieben. Jetzt bin ich lange nicht so wichtig, treffe in den seltensten Fälle polarisierende Aussagen und zeige mich nach außen hin nicht sonderlich politisch motiviert. Mit dem Thema habe ich mich hingegen mehrmals auseinandergesetzt.

Ein Beispiel ist der Blogpost „Social Media funktionieren nur beim Pöbel“. Darin hatte ich einst die Entwicklung der Kölner Verkehrs-Betriebe dargestellt – vom zögerlichen Umgang mit Krisen zu einem selbstbewussten Handeln in unschönen Situationen.

Lokale Verkehrsbetriebe stehen wohl in fast jeder Stadt häufiger am Pranger als andere Unternehmen. Viele Fahrgäste beklagen sich über Verspätungen, zu volle Züge, technische Störungen, Zugaus- oder Zugunfälle und diverse Nickligkeiten.

Bevor die Kölner Verkehrs-Betriebe wirklich aktiv in den Social Media tätig wurden, hat eine zusammengewürfelte Truppe von engagierten Mitarbeitern unterschiedlichster Kommuniaktionsdisziplinen den Pöblern und Nörglern Paroli geboten. Allerdings konnte mangels eigener Social Media Kanäle kaum oder nur im Schneckentempo reagiert werden. Bis diverse Krisen zu einer ganzheitlichen Strategie führten.

Darüber hinaus lohnt ein Blick auf die großen Unternehmen wie Google, Facebook oder Twitter. Auch hier gibt es eine interessante und zugleich bedenkliche Entwicklung zu beobachten.

So machte exemplarisch im vergangenen Sommer eine Google-Maps-Karte mit dem Titel „Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft“ im Internet die Runde. Begleitet mit der Aufforderung, Standorte von Flüchtlingsunterkünften zu melden. Zudem gab es noch einen Leitspruch, der vermutlich mit „Wir sind keine Nazis, aber…“ begann. Glücklicherweise wurde die Gefahr durch eine couragierte Gegenbewegung, bestehend aus Bloggern sowie Facebook- und Twitter-Nutzern schnell gebannt.

Das Munich Digital Institute hat Anfang dieses Jahres mehr als 1.200 deutschsprachige Facebook-Nutzer gefragt, wie sie die politischen Diskussionen und die Atmosphäre im gleichnamigen Netzwerk wahrnehmen und was das für ihr zukünftiges Verhalten bedeutet.

Hetze, Hass und Halluzinationen in Social Networks

Demnach empfindet ein Großteil der Nutzer das Klima bei Facebook als zunehmend aggressiv und emotional. Fast 21 Prozent der Befragten wollen aus diesem Grund Facebook in Zukunft weniger nutzen. Nicht zuletzt hat Justizminister Heiko Maas Facebook wiederholt zur Löschung von Hetzkommentaren aufgefordert. Dem kommt das Unternehmen in Deutschland nun nach. Zudem wurde eine Initiative für mehr Zivilcourage gestartet.

Wie nötig es für Facebook auch im Eigeninteresse sein sollte, gegen die Verschärfung im Ton auf der eigenen Plattform vorzugehen, zeigt diese aktuelle Umfrage. Bereits Mitte 2015 hatte das Institut in einer umfassenden Analyse zur Diskussionskultur evaluiert, wie die deutschen Facebook-Nutzer mit dem Thema Flüchtlinge umgehen.

Der Druck war auch für Twitter groß, weshalb der Mikroblogging-Dienst kurz vor dem letzten Jahreswechsel eine Sperr-Offensive gegen Hetze einläutete. Das Versprechen: ab sofort sollen Nutzerkonten gesperrt oder entfernt werden, wenn über sie Hass und Hetze verbreitet wird.

Persiflage im Social Web

Der Vollständigkeit halber seien noch drei Formate erwähnt, die ich persönlich im Kontext von Hetze und Hass in Social Networks sehr witzig finde:

  • Der Postillion, Deutschlands größte Satire-Zeitung der Welt
  • extra 3, skurrile Realsatire und jede Menge Politik
  • heute-show, Comedy- und Nachrichtensatiresendung

Am Ende des Tages werden Ironie, Sarkasmus, Unwissen und Humor unterschiedlich interpretiert. Kommunikationsprofis können konstruktiv mit Kritikern, Querulanten und Pöblern umgehen. Wenn jedoch die Netzwerke perfide dazu genutzt werden, um Menschen mit unethischen Botschaften zu beeinflussen, muss dieses Vorgehen rigoros aufgedeckt werden. Können wir also nur hoffen, dass ausreichend reflektiert, nach Hintergründen gefragt und sich ordentlich weitergebildet wird – in der breiten Masse höchst unwahrscheinlich…

Stelle dir vor, Björn Tantau ruft zur Blogparade mit dem Thema „Wie gefährlich ist Hetze auf sozialen Netzwerken?“ auf und keiner geht hin – scheinbar bin ich mit diesem Beitrag der einzige Teilnehmer!


Autor: Stefan Schütz /
Foto: Dieter Poschmann / pixelio.de

8 Kommentare zu „Hetze und Hass in Social Networks“

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  5. Hallo Stefan,
    sehr gut beleuchtet – gefällt mir sehr (fachliche Kompetenz und gründliche Recherche zeichnen deine Beiträge immer wieder aufs Neue aus).
    Der (braune) Pöbel zeichnet sich ja nicht nur durch Unwissenheit und Dummheit aus, sondern deren „Führungsebene“ hat durchaus „kluge“ (von der Intelligenz ausgehend) Köpfe – zwar mit einer („etwas“) verdrehten Weltanschauung, aber durchaus dazu imstande, ihren Mann oder Frau in der (beruflichen) Gesellschaft zu stehen – und diese Hetze (auch Pöbelei) von diesen „Führungspersönlichkeiten“, kann eben dieses Pack fesseln und motivieren. Diese Mischung macht es meiner Meinung nach, so brisant und gefährlich.

    Leider wird die breite Masse (wie du ja auch angemerkt hast) nicht Beiträge, Zitate usw. hinterfragen oder andere Meinungen / Stellungnahmen einholen – es ist ja viel einfacher (ohne nach zu denken) sich der passenden „IchBinDagenMeinung anzuschließen.

    Aber, und das beruhigt mich ein wenig (Optimismus ist angesagt), es regt sich der Widerstand und der wird immer massiver.
    (Die Macht der Worte darf und sollte man niemals unterschätzen – egal aus welche Ecke diese kommen)
    LG Ede-Peter

  6. Hallo Stefan,
    gratuliere zu einem (weiteren) guten Beitrag.
    Diese Hetzerei ist alles andere als sozial. Die „Rudelanführer“ beeinflussen Menschen, die kein Standing für eine feste, eigene Meinung haben. Jene unsicheren Menschen denken sich: wenn viele eine Meinung vertreten, dann kann sie so falsch nicht sein. So entsteht auch leicht ein Eindruck, Deutschland sei zum großen Teil fremdenfeindlich, was aber so gar nicht stimmt. Gott sei Dank will man ja bei Facebook nun etwas schärfer sein in der Moderation fragwürdiger Beiträge.
    Eine gute Woche
    HG Hans

    Übrigens hab ich Dussel das Thema leider aus den Augen verloren. Hatte sogar schon ein bissel was entworfen.

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